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AutorenbildMarkus Wachter

Im Zeitalter der Stagilitäten.


Sie kennen sie sicher auch, die sogenannten Ismen. Gemeint sind damit Worte, die jeweils mit der Endung „ismus“ abschließen. Eine Vielzahl von Ideologien und Glaubensrichtungen bedienen sich dieser Wortendung. Sozialismus, Kommunismus, Kapitalismus, Islamismus und natürlich der Liberalismus. Der Endung –ismus wird nachgesagt, dass diese aus Ansätzen, Ideen und Theorien schnell einen nicht wandlungsfähigen, in sich verharrenden und vielfach starren Erkenntnisstand macht. Viele dieser Ismen verfolgen das Interesse der Stabilität – womit wir nun in einer zweiten Sprachfamilie landen, die weniger mit Haltung, sondern mehr mit der (auch manchmal fehlenden) Beweglichkeit zu tun hat, den Ilitäten.


Speziell in Zeiten des gesellschaftlichen und unternehmerischen Wandels sind sie sehr präsent und in aller Munde – die Flexibilität, die Mobilität und die Agilität. Aber auch ihr Widersacher ist hier wieder im Spiel – nämlich die Stabilität. Doch diese scheint letztlich das beweglichste Element in diesem Spiel zu sein. Kaum glaubt man sie erreicht zu haben, ist sie auch schon wieder weg – und wenn sie doch einmal länger verweilt, wird sie schnell zum Klotz am Bein. Erinnert irgendwie an den U2 Hit aus den 1980ern – “With or Without You”. In der Physik ist Stabilität ein durchaus nachvollziehbarer Zustand – doch in sozialen Gebilden und Organisationen?


Aber schauen wir doch einmal gemeinsam auf das Beziehungsgeflecht der Ilitäten-Familie – möglicherweise finden sich darin ja Erkenntnisse die letztlich das Führen, das Entscheiden und die Beweglichkeit von Menschen und Organisationen in einem neuen Licht erscheinen lassen. Widmen wir uns gleich einmal der Flexibilität.


In keinem Bewerbungsgespräch darf sie fehlen, die Frage nach der Flexibilität der jeweiligen KandidatIn. Oft ist da schon nicht ganz klar wovon die Rede ist – zu viele Zugänge und Erwartungen sind mit diesem Wort verbunden. Dass man sich in einem Bewerbungsgespräch tatsächlich auf der gleichen Ebene des Flexibilitätsanspruches trifft ist vielfach eher ein Produkt des Zufalls. Örtlich und zeitlich klappt meistens noch – wenn es allerdings dann in Richtung Aufgaben geht, wird das Verständnis schon dünner, pragmatischer und hypothetischer. Man bewirbt sich ja um eine Stelle – mit weitestgehend stabilen Anforderungen und Aufgaben, die zuvor klar an der bestehenden Organisationsstruktur ausgerichtet wurden. Es werden oftmals KandidatInnen ausgewählt, die diese Stabilität tunlichst nicht gefährden sollen. Damit wird schon sichtbar, was die Organisation an ihrer Eintrittsschwelle mit der Frage nach Flexibilität meint – nämlich: Bist du bereit, dich möglich beweglich an die bestehenden Rahmenbedingungen in unserem Unternehmen anzupassen, sodass wir uns durch dich möglichst nicht bewegen müssen. Werde durch deine Flexibilität ein gut bewegbarer Teil als Beitrag für unsere Stabilität.


Die „Belegschaft“ eines Unternehmens, welches sein Überleben im Spannungsfeld volatiler Märkte sicherstellen muss, wird von der Unternehmensführung vielfach als variabler und damit flexibel handhabbarer Faktor gesehen. Umsatz runter – Personalkosten runter – Auftragsbücher füllen sich und der Personalstand darf bzw. muss wieder zunehmen. Wenn man auf die festen Wertbestände abseits des monetären Kapitals von Unternehmen schaut, dann passiert es nur im äußersten Notfall, das Gebäudeinfrastruktur stillgelegt, anderweitig verwendet wird oder das liebgewonnene Statussymbole wie Dienstwägen oder Büroflächen auf den Einsparungslisten aufscheinen. Infrastruktur findet sich ja in einer Bilanz bekanntlich auf der Kapitalseite – MitarbeiterInnen hingegen im Aufwand.


Dieser Umstand wäre aber einen eigenen Blogbetrag wert. In einem vorangegangenen Artikel rund um das Thema Ressourcen und Kapital habe ich mich diesem Thema aber auch schon kurz gewidmet.


Schauen wir aber noch einmal auf unsere BewerberInnen – denn auch diese haben Erwartungen an die Flexibilität Ihres zukünftigen Arbeitgebers. Gleitzeit, Homeoffice, Prämienoptionen, attraktive Durchrechnungszeiten – in Summe eine perfekte Anpassung an die jeweils aktuelle Lebensbedingungen… und manchmal auch mehr. Wenn wir nun die Interessen und Erwartungen von MitarbeiterInnen und Unternehmen einender gegenüberstellen, dann teilen diese sich zwar die Überschrift „Flexibilität“ – meinen tun aber beide etwas gänzlich Anderes. Vielleicht streben beide ja eigentlich Stabilität an, wenn sie Flexibilität sagen – aber jeder eben aus seiner spezifischen Lebenswelt.


Ein naher Verwandter der Flexibilität ist die Mobilität – diese ist aber vorrangig eine Erwartung von Seiten der Unternehmerschaft an die MitarbeiterInnen und Führungskräfte. Örtliche Beweglichkeit liegt hoch im Kurs – meist, weil diese oft nur für kleine Sprünge verfügbar ist. Wobei auch auf die Mobilität kann man mit zwei Interessenslagen schauen. Mobilität im Sinne der Stabilität: Wer Familie, Haus und Hund schon örtlich verankert hat, der wird eher wenig mobil und damit ein langjähriger Mitarbeiter sein. Jemand der alleine und ungebunden, zieht womöglich schneller seine Runden. Auch hier gilt – je nach Auftragslage und Expansionsbestrebung steigt oder sinkt der Zuspruch zu dieser Art der Mobilität.


Mobil sollte man aber auch innerhalb eines Unternehmens sein, um schnell neue Aufgaben übernehmen zu und zeitgleich überholtes zurücklassen zu können. Eine in jüngster Vergangenheit sehr gefragte Form der Mobilität findet sich im Home Office wieder. Die Beweglichkeit was seinen aktuellen Arbeitsort betrifft war bis März 2020 in den meisten Organisationen stark reglementiert und ist nur einem ausgewählten Kreise zugänglich. Doch dann kam die Krise – und damit einher eine Trendwende um 180 Grad. Was zuvor vielfach als unproduktive Form des Arbeitens gesehen wurde, war von einem Tag auf den anderen eine Voraussetzung. Nach kurzer Umstellungszeit hat das leben- und arbeiten zwischen Kochen und Rasenmähen überraschend gut funktioniert – so gut, dass zukünftig viele MitarbeiterInnen nicht mehr darauf verzichten wollen. Hier ist Umdenken angesagt und die Flexibilität der Unternehmen gefragt.


Wobei – ist der Begriff „Flexibilität“ tatsächlich auch auf Systeme und Organisationen passend anwendbar? Aus unserer Perspektive nur sehr eingeschränkt. Viel stimmiger ist hier ein weiteres Mitglied aus der Familie der Ilitäten – nämlich die Agilität. Für Organisationssysteme ist Agilität die Fähigkeit, sich den jeweiligen Umgebungsfaktoren so anzupassen, das man idealerweise dauerhaft überlebt und gleichzeitig auch ein relevanter Faktor für Partner und Kunden im Wirtschaftskreislauf ist.


Sie können sich das vorstellen wie Schwärme von Fischen oder von Staren – wie von Geisterhand drehen Sie, scheinbar unverwundbar Ihre Kreise zu Wasser oder in der Luft. Einer perfekten Choreographie folgend und trotzdem unglaublich beweglich – wunderschön anzusehen. Das wäre doch was? Genau so sollten Organisationen sein – doch nur wenige entsprechen dieser Vorstellung von Agilität. Trotzdem darf – oder besser – sollte es das Ziel jeder Organisation sein, so nahe wie möglich an diese Form der Beweglichkeit mit seinem persönlichen Schwarm an MitarbeiterInnen heranzukommen. Möglicherweise ist es genau die Krise, die wir aktuell erleben, die hier neue Formen der beweglichen Zusammenarbeit von Menschen in und um Organisationen nicht nur möglich, sondern notwendig macht. Krisen kommen nicht in Zyklen, sondern in Wellen. Krisen sind nicht linear, sondern mehrdimensional. Krisen werden in Ihrer Wirksamkeit nicht geringer, sondern betreffen gefühlterweise immer mehr Bevölkerungsschichten. Je vernetzter und scheinbar effizienter ein Wirtschaftssystem ist, umso wahrscheinlicher werden die krisenhaften Phasen. Unternehmen, die sich in stabilen Zeiten auf die nahenden Wellen kommender Herausforderungen vorbereiten, werden letztlich gut und vielleicht sogar besser aus einer Krise kommen, als jene, die die letzte – scheinbar unnütze - Doppelgleisigkeit aus der eigenen Organisation erfolgreich verbannt haben.


Jetzt haben Sie sie alle kennen gelernt – die Mitglieder der Familie der Ilitäten. Wie Geschwister, sind diese einander ähnlich, aber doch haben alle einen etwas anderen Charakter. Wie in vielen Familien gibt es mit der „Stabilität“ einen charakterlichen Ausreißer. In der Gruppendynamik wäre das dann wohl der Alpha… oder doch der Omega? Egal – ohne die Alphas und Omegas gäbe auf jeden Fall keinen Platz für die Betas und Gammas… in Familien wie in Organisationen.


Wenn man nun als Führungskraft, Unternehmer oder Schlüsselspieler auf Organisationen und Ihre Akteure schaut, ergeben sich daraus Handlungsfelder, die aus „bewegten“ Zeiten idealerweise „bewegliche“ Zeiten werden lassen sollten. Die Kraft hierfür kommt zu einem wesentlichen Teil aus dem Kollektiv – konkret aus dem Vergemeinschaften und aus dem Teilen. Ein Schwarm von Staren bekommt erst seine Kraft durch die Vielzahl an Akteuren, die das Gemeinsame immer im Auge haben, die allerdings erst durch die Flexibilität des Einzelnen möglich wird. Stare verhalten sich in luftigen Höhen wie ein einziger agiler Organismus – am Boden angekommen, zählt vermehrt wieder das Bedürfnis des Einzelnen.

Auch in Organisationen findet man unterschiedliche Zeitpunkte und unterschiedliche Ort. An einem Platz ist die Flexibilität am Zug, an einem anderen Punkt ist Mobilität gefragt und wieder wo anders steht der Anspruch an Stabilität außer Diskussion. Wichtig ist, dass man diese Orte und Phasen aktiv sucht, diese findet und letztlich auch für alle wahrnehmbar benennt. Diesen Prozess, wenn er permanent stattfindet und wie bei einer Prozession sich in Schleifen wiederholt, nennt man organisationale Führung. Im Unterschied zur personellen oder individuellen Führung steht hier (auch) das Kollektiv einer Organisation im Zentrum des Organisierens, des Planens und des Entscheidens.


Das Kollektiv endet aber nicht bei den (gedachten) Grenzen der eigenen Organisation. Wie beim Schwarm der Stare, die aus kleinen Gruppen sich erst zu einem Schwarm entwickeln, verhält es sich auch bei Organisationen. Sinnstiftende Vernetzungen, ein gemeinsamer Aufbau von Kompetenzen und ein regelmäßiges Teilen von Ressourcen gefährdet kaum die eigene Identität, fördert aber mit Sicherheit die kollektive Stabilität. Stabilität ist wiederum eine tragende Säule der (wahrgenommenen) Sicherheit. Das Prinzip „gemeinsam sind mir mehr“ wird zum „gemeinsam (er)schaffen wir mehr“ – nach innen und nach außen.

Die Kraft des Kollektiven und des Teilens ist generell einer der wesentlichen Treiber für ein erfolgreiches Wirken zukünftiger gesellschaftlicher, sozialer und wirtschaftlicher Organisationsformen.


Gerne teilen wir mit Ihnen, lieber Leserinnen und Leser unser Wissens und Erkenntnisstände. Schauen wir doch gemeinsam genau auf diese Potenziale Ihrer Organisation. Diese Schätze, die in den letzten Jahrzehnten teilweise unter dem Staub der Individualisierung und dem kapitalmarktgesteuerten Wettbewerb verloren gingen, gilt es zu heben und erfolgreich zu nutzen.


In kommenden Blogbeiträgen werden Ihnen die Protagonisten der Familie der Ilitäten immer wieder begegnen. Wenn auch Sie diese besser kennen lernen wollen, dann abonnieren Sie doch einfach diesen Blog und tauchen Sie mit mir gemeinsam in die wunderbaren und manchmal auch wundersamen Welten von Organisationen ein.


Ich freue mich auf Ihre Kommentare und auf jegliche Form des Austausches.




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