Wie so viele Menschen sitze auch ich aktuell im Home Office. Ein eigentlich lange gehegtes Anliegen aus meiner Zeit als Human Ressource Manager ist quasi über Nacht in Erfüllung gegangen. Von zu Hause aus arbeiten ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen - nicht ganz freiwillig, aber doch. Wieso fühlt es sich aber gleichzeitig nicht gut an. Ist es mitunter weil es einhergeht mit einer Bürogemeinschaft mit meiner Familie inkl. Kinderbetreuung und gemeinsamer Bewältigung des Gemeinschaftsprojektes namens "Schulalltag"? So war das Konzept eigentlich nicht geplant. Schuld daran ist - wie soll es auch anders sein - die KRISE.
Aber was macht eine Krise eigentlich zur Krise - oder sollte man sogar sagen WER macht die Krise zu einer solchen. Wikipedia schreibt zum Stichwort Krise Folgendes:
"Die Krise bezeichnet im Allgemeinen einen Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging und die eher kürzer als länger andauert."
Auch Wikipedia schreibt ÜBER die Krise - wir haben nun erstmals seit Jahrzehnten als Gesellschaft die Möglichkeit nicht ÜBER eine Krise, sondern AUS der Krise zu berichten. Fühlt sich anders an. Diese Krise ist eine weltweite Krise, damit gibt es auch kein Entkommen - zumindest räumlicher Natur. Stellt sich allerdings die Frage, sind wir Teil der Krise oder ist die Krise Teil von uns. Das macht einen entscheidenden Unterschied. Wenn wir uns als Teil der Krise sehen, dann sind wir in der Lage etwas zu ändern - wenn wir allerdings die Krise als einen Teil von uns werden lassen, dann laufen wir Gefahr, dass sie uns verschlingt bis wir selbst zur Krise oder zum Krisenfall werden. Wer will das schon - ich will das nicht. Deswegen setze ich mich bewusst in die Rolle des Beobachters und versuche gegenüber der Krise (da draußen) einen differenzierten Blick zu halten.
Auch wenn etwas nicht real ist, wird es doch zur Realität in seinen Konsequenzen, dadurch dass wir uns verhalten, als wäre es eben real. Eine Krise ist nicht per se eine Krise. Sie entsteht durch unsere Interpretation und durch unser kollektives Handeln. Knoten im Kopf? Dann lade ich Sie ein mit diesem Satz auf die aktuelle Corona Krise zu schauen.
Der Corona Virus - ein Virus, ähnlich wie viele Grippeviren, in seinen Auswirkungen aber anders als seine bisherigen Verwandten. Eigentlich gar kein richtiges Lebewesen und doch hat er es geschafft eine Identität zu bekommen. Wir glauben sogar zu wissen, wie dieses Virus aussieht - rot, rund und kronenhafte Ausstülpungen an seiner Oberfläche. Er bewegt sich durch die Luft, haftet an Oberflächen, ist ohne Wirt nicht lebensfähig aber doch ausreichend stabil um von Wirt zu Wirt zu wandern. Sein einziges Ziel: Überleben.
Da haben wir nun scheinbar die eine wesentliche Gemeinsamkeit zwischen dem Virus und und uns Menschen als seinem Wirt - das Überleben. Oder doch nicht? Ja der (oder das) Virus will, dass seine Population überlebt. Wir Menschen wollen nicht zwingend überleben - unser Anliegen ist vielmehr der Wunsch nicht zu sterben. Und jetzt sind wir an einem Punkt, wo auch die Krise ihren Ursprung hat. Dieser liegt nicht in China, dieser liegt mitten in unserer Gesellschaft - mitten in uns. Es ist die Kultur, die den Tod aus dem Leben verbannt hat. Diesen Bann wollen wir aufrecht erhalten - koste es was es wolle... vier Milliarden, zehn Milliarden, achtunddreißig Milliarden? Das muss es uns schon wert sein.
Mir ist bewusst, dass ich mich gerade auf dünnem Eis bewege - aber mir stellt sich die Frage ob das, was wir als Gesellschaft gerade erleben oder - besser gesagt - selbst veranstalten, wirklich noch verhältnismäßig ist. Ich halte es sogar für richtig, wie unsere Regierung aktuell agiert - ich bin mir aber zunehmend unsicher, ob diese aktuell scheinbar richtigen Entscheidungen auch ausreichend gute Entscheidungen sind. Ist der Preis, den wir aktuell als "eingeschränkte" Gesellschaft dafür bezahlen es wert, dass wir damit den Ausbruch einer Grippe verzögern, an der letztlich sowieso mehr als 70% von uns Menschen erkranken werden müssen. Mit Wert meine ich explizit nicht nur die monetären Investitionen - viel mehr geht es mir um die Werte, die uns als Gesellschaft ausmachen. Das Argument, dass wir unser Gesundheitssystem nicht zum Kollaps bringen dürfen ist einleuchtend - aber dürfen wir gleichzeitig unser Kultur- und Gesellschaftssystem dabei aufs Spiel setzen?
Aktuell schauen wir angsterfüllt auf unser Nachbarland Italien. Dort sterben jeden Tag mehrere hundert Menschen an Corona - wobei damit nicht gesagt ist, dass sie wegen Corona sterben. Das Durchschnittsalter der verstorbenen Menschen liegt bei über 80 Jahren. Damit ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass viele dieser Menschen weder AN, noch WEGEN, sondern MIT Corona sterben. Jeder Verstorbene ist ein Verstorbener zu viel - es ist ein Mensch, der zu beklagen ist und "ja", es gilt alles zu tun, um das zu verhindern. Auch ich habe eine Mutter, die fast 90 ist und ich möchte gar nicht daran denken, dass sie einmal nicht mehr sein wird. Ihr geht es - Gott sei Dank - verhältnismäßig gut. Auch dank einer Medizin, die ihr dieses hohe Alter ermöglicht hat. Gleichzeitig sehen wir durch das Corona Virus wieder sehr bewusst, dass auch die Medizin mit ihren lebensverlängernden Möglichkeiten Grenzen hat. Wir reizen das Hinauszögern des Todes medizinisch massiv aus - wobei es oft nicht mehr um die Verlängerung eines "würdigen" Lebens geht, sondern oft die Verlängerung des Sterbens im Rückblick das Ereignis dominiert. An dieser Stelle lade ich ein, wieder die Brille der Betroffenheit gegen die Brille der Verhältnismäßigkeit zu tauschen.
"Rette Leben - bleib zu Hause" - so wird man dieser Tage zum Lebensretter. Heißt das im Umkehrschluss, dass man zum potenziellen Täter wird, wenn man dem Drang folgt und doch an einem gesellschaftlichen Ereignis teilnimmt. Ich meine dabei nicht die "Corona Parties" übermütiger Jugendlicher - ist spreche dabei eher von Ereignissen, die sich wirklich nicht aufschieben lassen. Auch ohne Corona sterben jeden Tag Menschen - ein würdevoller Abschied ist dieser Tage beispielsweise nicht möglich. Trauerfeiern ohne Trauernde hinterlassen Wunden, auch wenn diese nicht unmittelbar sichtbar werden.
Hierzulande werden (zu) viele Menschen durch und mit Corona sterben. Ich bin gespannt, wenn wir in ein paar Jahren auf die Krise 2020 schauen, welche Statistik höhere Zahlen aufweisen wird - jene der Coronatoten oder jene der Selbstmorde auf Grund der verloren gegangenen Existenzgrundlagen. Eines ist sicher - die Scheidungsraten werden durch diese Krise auch nicht geringer werden. Gut oder nicht gut - ich weiß es nicht - aber danach auf jeden Fall ein Teil unserer neuen Realität. Das ist ein Preis, den wir für unsere Krise bezahlen werden.
Zu guter Letzt möchte ich auf die Säulen unserer liberalen Demokratie schauen. Ich sehe diese zwar aktuell nicht unmittelbar in Gefahr aber zumindest in Teilen gefährdet. Alle Notgesetze gehen zwar durch das Parlament - die meisten sogar einstimmig mit den Stimmen der Opposition. Das ist sehr vorbildlich und auch richtig - aber auch hier stellt sich die Frage, ist es auch gut. Gesetze und schwerwiegende Maßnahmen zu beschließen ist sehr schwierig - die Rücknahme dieser wird manchem Politiker allerdings noch schwerer fallen. Kontrolle macht das Regieren doch bedeutend einfacher und an Tagen wie diesen kann man gut beobachten, wie schnell Bürgerrechte einer Autorität weichen. Ich sehe die Gefahr des Missbrauches weniger in den Machtzentren unserer Demokratie - viel mehr richte ich meine Augen dabei auf einzelne unsere Nachbarländer, wo die Krise eine Chance ganz anderer Natur sein kann. An dieser Stelle lade ich ein die Brille der Achtsamkeit griffbereit in der Nähe zu halten.
Entscheidungen - richtig oder gut. Eines ist sicher, richtig gut sind diese aktuell wohl kaum zu treffen. Krisen - ob man in diese schlittert oder sich diese selbst produziert - reizen immer die Grenzen des Machbaren aus. An manchen Stellen müssen diese wohl auch überschritten werden, jedoch ist jeder aufgefordert auch darauf acht zu geben, dass diese eine Gesellschaft nicht zur Gänze aus den Fugen kommen lässt.
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